“Lasst doch die Kommunen selbst entscheiden!”
Stefan Majer, Verkehrsdezernent der Stadt Frankfurt, im Interview mit dem Klima-Bündnis
Frage: Die Stadt Frankfurt hat ihre Bemühungen um Tempo 30 nachts auf Hauptverkehrsstraßen mit dem Lärmschutz begründet. Sehen Sie darüber hinaus weitere positive Effekte, die eine Ausweitung der Tempo-30-Strecken rechtfertigen?
Stefan Majer: Zwei Sachverhalte müssen deutlich unterschieden werden.
Das eine ist das Thema Lärm: Wir haben durch die Lärmaktionsplanung des Landes Hessen diverse verkehrsreiche Straßen aufgezeigt bekommen, an denen die Anwohnerinnen und Anwohner nachts erheblichem Verkehrslärm ausgesetzt sind. Damit verbunden war die Aufforderung, hierzu Maßnahmenvorschläge zu machen und ggf. umzusetzen.
Eine Maßnahme, wie es sie in anderen Städten bereits gibt, ist eine Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit auf 30km/h zwischen 22 und 6 Uhr. Diese wollten wir zuerst einmal auf fünf Abschnitten in einem Verkehrsversuch auf ihre tatsächliche Wirksamkeit hin untersuchen und mit den Ergebnissen in unserer Stadt die politische Debatte führen, ob wir das wollen. Wir hatten alles vorbereitet, mit den zuständigen Fachstellen beim Land abgestimmt, und dann kam der Minister und teilt uns über eine Boulevardzeitung mit, dass das mit ihm, mit Ausnahme eines Abschnittes, nicht zu machen ist. Ich sage: Lasst das doch die Kommunen selbst entscheiden! Pfuscht uns doch nicht in die sachlichen Debatten vor Ort hinein, bloß weil’s euch vielleicht parteipolitisch nicht in den Kram passt.
Die Frage, ob die zulässige Höchstgeschwindigkeit in Ortschaften auf 30km/h gesenkt werden sollte, hat damit erst einmal gar nichts zu tun. Von einer solchen Regelung würden verkehrsstarke Grundnetzstraßen auch sicher per Beschilderung ausgenommen werden, bei großen Lärmkonflikten zumindest tagsüber.
Frage: Wie beurteilen Sie die Idee, dass die Höchstgeschwindigkeit Tempo 30 zur allgemeinen Regel für Städte und Dörfer wird?
Stefan Majer: Zuerst einmal muss mal sich klarmachen, dass der weitaus größte Teil der Straßennetze in deutschen Städten schon seit Jahren aus Tempo-30-Zonen besteht. Das ist auch gar nicht strittig. Dort wohnen die Menschen, und die wollen selbstverständlich verkehrsberuhigte Straßen, die sie im Mischverkehr sicher beradeln und zu Fuß überall queren können.
Übrig bleibt ein kleiner Anteil an Straßenkilometern mit hoher Verkehrsbedeutung und –dichte. Der Popanz wird aufgeblasen, auch dort dürfe dann überall nur mit 30km/h gefahren werden. Dazu sage ich: Halt, das stimmt doch gar nicht. Die althergebrachte Grundregel zu ändern heißt doch zuerst nur, dass wir uns diese wenigen Straßen anschauen und entscheiden, wo wir höhere Geschwindigkeiten haben wollen, und diese werden dann entsprechend beschildert. Es wird aber auch viele Straßen, gerade in der Innenstadt, geben, bei denen das nicht geschieht, weil es für den Verkehrsfluss und die Verkehrssicherheit viel besser ist, wenn man nicht mehr auf kurzen Strecken auf 50 beschleunigt, um dann wieder an der nächsten roten Ampel zu warten.
Zahlreiche Wünsche nach einer Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit
Frage: Was würde Tempo 30 regulär für das Leben in der Stadt bringen?
Stefan Majer: Das Leben in der Stadt bliebe davon völlig unbeeindruckt, im Gegenteil: Durch besseren Verkehrsfluss, weniger Verkehrsschilder, mehr Verkehrssicherheit und gleichmäßigeren Verkehrsfluss könnten wir die Aufenthalts- und Lebensqualität in vielen Teilen unserer Städte ein ganzes Stück weit steigern. Wir könnten auch auf eine Menge Ampeln verzichten und mehr unsignalisierte Querungen einsetzen, das ist für alle Verkehrsteilnehmenden gut und spart auch eine Menge Geld.
Frage: Was würde sich für Ihre Stadtverwaltung ändern?
Stefan Majer: Eigentlich nicht so viel. Wir müssten nur weniger häufig den Bürgerinnen und Bürgern erklären, warum die Rechtslage es uns nicht erlaubt, die schon heute zahlreichen Wünsche und Ortsbeiratsforderungen nach einer Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit auch umzusetzen.
Schauen Sie mal nach Kassel, da hat das Land die Stadt gegen den erklärten Willen der Menschen vor Ort gezwungen, etliche Tempo-30-Abschnitte wieder aufzuheben. So was ist doch irre. Aber die Kommunen müssen das tun, weil ihre Straßenverkehrsbehörden zugleich Untere Landesbehörden und daher weisungsgebunden sind.
…. “und spart auch eine Menge Geld”
Frage: Wird das teuer? Womit rechnen Sie?
Stefan Majer: Genaue Zahlen kann ich Ihnen da noch nicht sagen, im Detail würde ich die Verwaltung erst rechnen lassen, wenn es die Möglichkeit gäbe, über die wir reden. Grundsätzlich würden Planungskosten anfallen, Aufwendungen für die Neuprogrammierung von Ampelanlagen und an Verkehrsschildern muss geschraubt werden. Kurzum: Ja, das wird auch Geld kosten, ebenso wie damals die Tempo-30-Zonen in Wohngebieten auch Geld gekostet haben.
Doch verglichen mit dem, was handwerklicher Straßenbau kostet, ist das vergleichsweise kleines Geld. Ich ziehe diesen Vergleich auch deswegen, weil geringere Höchstgeschwindigkeiten uns in der Straßenunterhaltung durchaus auch langfristige Einsparungen bringen: Wenn 20km/h langsamer gefahren wird, weiten sich kleine Schadstellen nicht so schnell zu großen Schlaglöchern aus.
Frage: Was muss eine Kommune bei der jetzigen gesetzlichen Regelung tun, wenn sie eine 30km/h-Strecke oder -zone ausweisen will?
Stefan Majer: Für Tempo-30-Zonen legt die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) klare und praktikable Regelungen fest, die finden Sie in den Ausführungen zum § 45 in Abschnitt XI. Für uns als Stadt Frankfurt war es damals ganz wichtig, in diese Planungen die Ortsbeiräte ganz stark mit einzubeziehen. Diese haben damals die Planungshoheit qua Geschäftsordnung bekommen, und das halten wir noch heute so.
Bei sonstigen Strecken – ich nenne das immer die „runde 30“ – ist es derzeit erheblich schwieriger. Das Problem in Kassel hatte ich erwähnt, ebenso unseren Streit mit dem Minister in Sachen Schutz der Nachtruhe. Da muss immer erst einer ein Einsehen haben, dass erhebliche Rechtsgüter beeinträchtigt sind, und dann darf man das anordnen – kostet ein paar Euro für Schilder, Verkehrsüberwachung machen wir sowieso. Und wenn es schon kein Einsehen gibt, dann wenigstens stillschweigendes Einverständnis für das Handeln der kommunalen Behörde – und nicht so Durchgriffsnummern wie in Kassel.
Hinter dem Begriff der erheblichen Rechtsgüter steht natürlich ganz, ganz vorne die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit. Zynisch gesprochen: Kommt es zu vielen Unfällen, dann darf Tempo 30 angeordnet werden. Und selbst da gibt es klagende Prozesshansel, wie kürzlich in Nürnberg gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung im Bereich einer Schule – der Prozess ging aber gottlob für den Kläger verloren. Bei der Frage, wie viele Menschen eigentlich vom Straßenverkehr um ihre Nachtruhe gebracht werden dürfen, was ja auch erhebliche gesundheitliche Auswirkungen hat, geht der Streit dann so richtig los, wenn in der Landeshauptstadt ein Minister sitzt, der glühender Anhänger der „freien Fahrt für freie Bürger“ ist.