Fakten aus Berlin / Deutschland

Die deutsche Hauptstadt (mit 3,4 Mio Einwohner.innen) gehört zu den ersten Städten, die Tempo 30 auch auf Hauptstraßen einführten. Der Anlass war der schnell wachsende Straßenverkehr nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989. Die Belastungen für Anwohnende wurden damals so groß, dass mehrfach die Gerichte angerufen wurden, und zwischen 1995 und 1998 ergingen mehrere Urteile, die Tempo 30 zwar nicht direkt anordneten, den Klagenden aber zubilligten, dass Entlastungsmaßnahmen – unter besonderer Berücksichtigung des lokalen Problemdrucks – noch einmal geprüft werden mussten.

Daraufhin ließ der Berliner Senat im Jahr 1999 das gesamte Hauptstraßennetz auf seine Eignung für Tempo 30 untersuchen, was noch heute international als vorbildlich gilt. An verschiedenen Hauptstraßen-abschnitten wurden darüber hinaus umfangreiche Praxistests mit Tempo 30 für den Nachtzeitraum unternommen, begleitet von wissenschaftlichen Vorher- und Nachheruntersuchungen.

 Nach und nach wurde Tempo 30 dann auf besonders geeigneten Strecken eingeführt. Heute gilt es auf etwa 17% des Berliner Hauptstraßennetzes, also auf 536 von 3167 Kilometern (wobei jede Richtung einzeln gezählt wird). Davon gilt auf 164 km (5%) Tempo 30 nur in der Nacht, und weitere ca 30 Kilometer haben Tempo 30 nur tagsüber, während der Schulzeiten.

Auf dem Nebenstraßennetz (das insgesamt 5340 lang ist) gilt Tempo 30 zu etwa drei Vierteln.

Die Bandbreite der wissenschaftlichen Begleituntersuchungen in Berlin ist groß. Methodisch beispielhaft sind die Ergebnisse der Luftuntersuchungen, sowohl wegen des Umfangs der gesammelten Daten als auch wegen der aufschlussreichen Daten zu Feinstaub, die den „nicht-abgasbedingten“ Feinstaub in die Analysen mit einbeziehen. Dieser wurde bislang fast noch nirgends sonst berücksichtigt.

Maßnahmen; Ergebnisse: Geschwindigkeitsänderungen, Qualität des Verkehrsflusses, Verlagerungen, Sicherheit, Lärm, Luft, Akzeptanz; Wissenschaftliche Begleituntersuchungen; Methodik, Hier verwendete Literatur

Maßnahmen

Maßnahmen (Hauptverkehrs- und Nebenstraßennetz)

  • – Signalisierungen (hoch angebrachte Tempo-Schilder, jeweils nach Kreuzungen wiederholt;
  • – Keine baulichen Maßnahmen an Hauptverkehrsstraßen
  • – Zusätzlich an einzelnen Hauptstraßen: ein fest installiertes Radargerät (an der Schildhornstraße), teilweise Dialogdisplays (etwa an der Silbersteinstraße)
  • – Zusätzlich an Nebenstraßen: auch Markierungen auf Fahrbahnen, teilweise bauliche Maßnahmen wie Aufpflasterungen und Fahrbahnverengungen

 

Ergebnisse

Geschwindigkeitsänderungen

Geschwindigkeitsänderungen

 

Auf 80 Prozent der untersuchten Hauptverkehrsstraßen sanken die mittleren Geschwindigkeiten nach der Einführung von Tempo 30 um bis zu 15 km/h, und zwar dass ohne Umbaumaßnahmen und auch ohne dauerhafte Radarkontrollen. Beim Einsatz von Radarkontrollen wurden bis zu 17 km/h weniger festgestellt.(Berlin / Argus 2013)

Der Durchschnitt für alle 19 untersuchten Straßenabschnitte lag vorher bei 43 km/h und sank mit Tempo 30 auf 36,5 km/h.

Die Spitzengeschwindigkeiten sinken in etwa so viel wie das Durchschnittstempo, also auch um bis zu ca 15 km/h. (UBA 2015)

Auf zwei 2014 untersuchten Hauptverkehrsstraßen sanken die Spitzengeschwindigkeiten auf den Tempo- 30-Abschnitten noch stärker als die mittleren Geschwindigkeiten, was einen insgesamt gleichmäßigeren Verkehrsfluss bedeutet.

Mit der Dauer der Ausweisung von Tempo 30 sinkt die mittlere Geschwindigkeit sukzessive weiter ab.

 

Details

Durchschnittstempo an 19 Hauptstraßen-grün

Wie die Tabelle zeigt, wurde vor der Einführung von Tempo 30 an nur zwei Messstellen 50 km/h (oder mehr) gefahren. Die niedrigste Durchschnittsgeschwindigkeit bei Tempo 50 lag bei nur 31,8 km/h. Der Grund waren die zahlreichen Verkehrsstörungen.
Es liegt nahe, dass deshalb mit Tempo 30 an verschiedenen Messstellen das Durchschnittstempo nur wenig weiter sinkt, etwa an der Beusselstraße (- 5 bzw – 7,9 km/h), an der Hauptstraße in Richtung Nordwest (-2,5 km/h), der Edisonstraße (-2 km/h) etc.

Gewöhnungszeiten notwendig

 

Die niedrigeren Geschwindigkeiten in neu angeordneten Tempo-30-Bereichen pegeln sich erst allmählich ein. Nach etwa einem halben Jahr haben sie ein stabileres Niveau erreicht, aber selbst dann können sie noch stark schwanken und sinken auch weiterhin. Selbst nach drei Jahren gibt es noch einen Abwärtstrend. (Berlin / Argus 2013)

Tempoänderungen nach Einführungsdauer-grün

Unterschiedliche Einhaltung der Geschwindigkeiten tagsüber und nachts

 

Tagsüber wird Tempo 30 von rund 20 – 30% der Fahrzeuge eingehalten. Nachts ist die Einhaltung geringer, sie lag bei neueren Tests (2014) an zwei Hauptstraßen bei 2 – 3% auf Tempo-30-Abschnitten und bei 50% in den Tempo 50-Abschnitten. Trotzdem wird in den Tempo-30-Bereichen zu allen Zeiten deutlich langsamer gefahren als auf den benachbarten Tempo 50-Abschnitten. Der Unterschied beträgt bis zu – 11 km/h. (UBA 2015)

Durchschnittstempo tags und nachts-grün

Qualität des Verkehrsflusses

Qualität des Verkehrsflusses

 

Wenige besonders hohe Spitzengeschwindigkeiten und möglichst wenige Situation, in denen abgebremst oder gehalten werden muss, sind die Kriterien für einen guten Verkehrsfluss. Bei Untersuchungen im Jahr 2014 auf zwei Berliner Hauptverkehrsstraßen konnten auf den Tempo-30-Abschnitten Annäherungen an den Optimalzustand festgestellt werden: „Die Homogenität des Verkehrsflusses ist tagsüber in den Tempo-30-Abschnitten deutlich besser als in den Tempo-50-Abschnitten. Die Spannweite der gefahrenen Geschwindigkeiten sinkt dort um 16 km/h von 44 bzw. 49 km/h auf 28 bzw. 33 km/h.“ (UBA 2015, S.54)

Übersicht Verkehrsfluss-grün

 

Details, am Beispiel der Sonnenallee

 

Fahrverläufe Sonnenallee

Die Grafik zeigt die Fahrverläufe auf 1,2 Kilometern der Sonnenallee, wobei ein Abschnitt mit Tempo 30 tagsüber ausgewiesen ist. Die Großteil der Kfz fährt hier zwischen 27 und etwa 40 km/h, also mit einer deutlich engeren Bandbreite von Geschwindigkeiten als im benachbarten Tempo-50-Teil. Vor allem fallen Fahrten mit hohen Spitzengeschwindigkeiten weg, aber auch schnelle, starke Bremsmanöver.

 

Anteil von Spitzengeschwindigkeiten am Gesamtverkehr

 

Geschwindigkeitsklassen Sonnenallee a

In Tempo-30-Abschnitten der Sonnenallee mit ungestörtem Verkehrsfluss ist die größte Geschwindigkeitsklasse diejenige von 30 bis 35 km/h, das Tempo, das zwar etwas zu schnell ist, bei dem die Polizei aber ein Auge zudrückt. Lediglich 8% der Kfz weichen um 10 oder mehr Stundenkilometer davon ab. Der Anteil derjenigen Kfz, die schneller als 45 km/h fahren, ist mit etwa 2 Prozent verschwindend gering. (UBA 2015) Diese homogene Verteilung der Geschwindigkeiten ist ein Indiz für einen gleichmäßigen Verkehrsfluss.

In Tempo-50-Abschnitt derselben Straße weichen dagegen deutlich mehr Kfz um 5 oder mehr Stundenkilometer von der größten Geschwindigkeitsklasse (40,1 – 45 km/h) ab. Das erhöht die Stauanfälligkeit auf diesen Abschnitten. Immerhin 7% fahren hier schneller als 50% (auf den Tempo-30-Abschnitten sind dies nur 1%). (UBA 2015)

 

Zahl der Halte und Reisezeiten

 

Derzeit verlängern sich die Reisezeiten auf den Tempo-30-Abschnitten um 0 bis 2 Sekunden pro 100 Meter. Bei der Sonnenallee (mit 2 Sekunden mehr pro 100 Meter) zeigte sich allerdings, dass insbesondere deshalb so oft angehalten werden, weil die Ampelanlagen nicht für Tempo 30 geschaltet waren. Auch auf den Tempo-50-Abschnitten ist vor allem an den Ampelanlagen der Verkehrsfluss gestört. Als weiteres häufiges Problem wurde auf den Messfahrten das Parken in der zweiten Reihe beobachtet.
Sobald beide Probleme behoben sind, dürfte auch die Zahl der Halte sinken und die Reisezeit sich verkürzen. (UBA 2015)

Verlagerungen

Verlagerungen

 

Nennenswerte Verkehrsverlagerungen konnten an keiner Hauptstraße festgestellt werden. Es traten also keine Mehrbelastungen an anderen Straßen auf.(Berlin / Rauterberg-Wulff, 2015)

Sicherheit

Sicherheit

 

Zahl der Unfälle an Berlins Hauptstraßen

 

An den untersuchten Straßenabschnitten zeigte sich ein Rückgang von rund 10% der Unfällzahlen, eine. Entwicklung, die positiver ist als die Entwicklung an allen Berliner Hauptverkehrsstraßen. (Berlin / Heinrichs 2015)

 

Subjektive Sicherheit

 

Befragungen im Rahmen des UBA-ModelIprojektes: 66%Prozent der befragten Anwohnenden stimmten der Aussage (überwiegend) zu, dass Tempo 30 den Verkehr sicherer macht. 63 % fanden, dass Fußgänger besser über die Straße kommen. (UBA 2015)

Lärm

Lärm

 

Durchschnittspegel / Mittelungspegel

 

„Obwohl sich nicht alle an Tempo 30 hielten, sank der Mittelungspegel um 0,2 bis 2,7 dB(A).“ (Berlin / Senat 2009, S.10)

 

Details

 

Lärm Berlin

 

Zusätzliche Wirkung durch Dialog-Display

 

„Das Beispiel der Hauptstraße in Lichtenberg zeigt die Potentiale einfacher Informationsmaßnahmen. Hier gilt ganztägig Tempo 30. Im Sommer 2007 wurden die Autofahrer durch ein DialogDisplay, darüber informiert, ob sie Tempo 30 einhalten oder schneller fahren. Auswertungen der Detektordaten zu mittleren lokalen Geschwindigkeiten zeigen, dass nach Einsatz der DialogDisplays die gefahrenen Geschwindigkeiten deutlich zurückgehen und der Lärm um circa 1,2 dB (A) gesenkt wird. Dies wird als leiser und entlastend empfunden.“ (Berlin / Grüne Liga 2011)

 

Subjektives Lärmempfinden

 

Betroffene Anwohner von Hauptstraßen mit Tempo 30 empfanden bereits eine deutliche Entlastung, wenn der nächtliche Mittelungspegel um ein Dezibel sank. (Berlin/Senat 2009).

Neuere Befragungen an zwei weiteren Hauptstraßen ergeben:
61% der befragten Anwohnenden sind der Meinung, dass es mit Tempo 30 leiser ist. Eine positive Bewertung geben vor allem Personen, die bereits an einem Tempo-30-Abschnitt wohnen.
Auch 56% der Autofahrer.innen stimmen zu, dass es mit Tempo 30 leiser wird.
Nur ein knappes Fünftel war der Meinung, dass es zwischen Tempo 30 und Tempo 50 keinen Unterschied in Bezug auf Lärm gibt. (UBA 2015)

Luft

Luft

 

Langjährige Immissionsmessungen belegen deutliche positive Effekte auf die Luftqualität für Stickstoffdioxid (NO2), Feinstaub (PM10) und elementaren Kohlenstoff (EC / Ruß), nachdem Tempo 30 in Kraft getreten war.

Im Vergleich zu Straßen mit Tempo 50 waren die Schadstoffkonzentrationen in den Tempo-30-Bereichen im dreijährigen Mittel bei:
NO2:           5,8 bis 12,4 μg/m³ niedriger, das sind – 19% bis – 28%,
PM10:         1,8 μg/m³ niedriger,               das sind – 21%,
EC (Ruß):   0,2 bis 2,2 μg/m³ niedriger,   das sind – 7% bis – 28%.

Die sinkende PM10-Belastung entsteht zur Hälfte aus der Reduktion des sogenanntem „nicht-abgasbezogenen“ Feinstaubs.

Bemerkenswert ist, dass nur in einer von drei untersuchten Straßen (Schildhornstraße) die Geschwindigkeit ständig automatisch kontrolliert wird. Für die beiden anderen Straßen konnten auch ohne ständige Kontrolle deutliche Verbesserungen der Luftqualität erreicht werden.

 

Details

 

Emissionen – Immissionen

 

„Die bei Emissionsmessungen an Fahrzeugen teilweise festgestellte Erhöhung des Schadstoffausstoßes bei Tempo 30 (..) wurde Immissionsseitig bei der langfristigen Auswertung von Luftmessdaten nicht wiedergefunden.“ (Berlin / Rauterberg-Wulff 2015)

Die Tatsache, dass in Berlin die Immissionen anstelle der sonst üblichen Emissionen analysiert wurden, verleiht den positiven Ergebnissen eine besondere Bedeutung. Denn Langzeitmessungen am Straßenrand unterliegen keinen Verzerrungen durch individuellen Fahrstile und Fahrzeugtypen. Emissionsmessungen, zum Beispiel an den Auspuffen einzelner Fahrzeuge, sind dagegen vor allem für die Entwicklungsabteilungen der Fahrzeugindustrie relevant.

 

Einzelne Schadstoffe

 

NO2 (Stickstoffdioxid) vor und nach der Einführung von Tempo 30

 

Die NO2-Werte, die direkt aus dem Straßenverkehr stammen, sanken nach der Einführung von Tempo 30 im Dreijahresmittel um bis zu 26 Prozent. (Die städtische Hintergrundbelastung aus anderen Quellen, wie etwa der Industrie, wurde aus den genannten Werten bereits herausgerechnet.)

NO2 an drei Straßen

 

Tempo 30- und Tempo-50-Straßen im Vergleich

 

Im selben Untersuchungszeitraum veränderte sich der NO2-Ausstoß auch an den Tempo 50-Straßen, allerdings stiegen hier die Werte, eine Entwicklung, die ohne Tempo 30 auch an den drei untersuchten Straßen mit Tempo 30 stattgefunden hätte. Um den tatsächlichen Effekt von Tempo 30 zu erhalten, muss folglich die Entwicklung an den Tempo-50-Straßen gegengerechnet werden. Daraus ergeben sich bis zu 12,4 μg/m³ weniger NO2-Konzentrationen für die Straßen mit Tempo 30. Die Gesamteffekte dank Tempo 30 entsprechen prozentualen Abnahmen von
insgesamt – 28% NO2 auf der Silbersteinstraße,
insgesamt – 25% NO2 auf der Schildhornstraße,
insgesamt – 19% NO2 auf der Beusselstraße.
(Berlin / Rauterberg-Wulff 2015)

 

NO2 an drei Tempo-30-Hauptverkehrsstraßen in Berlin-001

 

PM 10 (Feinstaub)

 

Die Immissionswerte für PM10 sinken bei Tempo 30 im Vergleich zu Tempo 50 um 21 % stärker.

Diese Werte wurden bei einem Vergleich aus dreijährigen Dauermessungen belegt. Verglichen wurden die Schildhornstraße mit Tempo 30 und die Frankfurter Straße, die vergleichbare Bedingungen aufweist aber als Tempo-50-Straße ausgewiesen ist. Auf der Schildhorn-Straße sanken die Feinstaubwerte, die direkt aus dem Straßenverkehr stammen, nach der Einführung von Tempo 30 signifikant um 44% (bzw. 4,3 μg/m³). Aber auch bei der Vergleichsstraße konnten zwischen 2006 und 2008 Reduzierungen erreicht werden, sie fallen allerdings geringer aus. Die Differenz belegt für die Tempo-30-Straße um 21% bessere Ergebnisse als bei Tempo 50. (Berlin / Rauterberg-Wulff 2015)

 

PM10 Tabelle

Beim Schadstoff PM10 in Berlin spielt die städtische Hintergrundbelastung eine wichtige Rolle, denn sie in macht den größten Anteil an der gesamten PM10-Konzentration aus. Dennoch kann Tempo 30 sogar für die Gesamtbelastung der städtischen Luft mit Feinstaub Verbesserungen bringen, nämlich etwa 5% weniger. (Berlin / Rauterberg-Wulff 2015)

PM10

 

EC (Elementarer Kohlenstoff / Ruß)

 

Rußpartikel sinken an Hauptstraßen mit Tempo 30 um bis zu 43%. Das entspricht um bis zu 28% stärkeren Rückgängen als an Hauptstraßen mit Tempo 50.

EC Tabelle

Bei den Werten der Silbersteinstraße mit einem vergleichsweise hohen Lkw-Anteil könnte auch die Modernisierung der Lkw-Flotte eine Rolle spielen, bei der Schildhornstraße und der Beusselstraße allerdings nicht. (Alle Daten sind Durchschnittswerte von je drei Jahren.) (Berlin / Rauterberg-Wulff 2015)

EC

 

Auch „Nicht-abgasbezogener Feinstaub“ wird reduziert

 

Neben den Rußpartikeln wird Feinstaub auch aus Abrieben und Aufwirbelungen gebildet, zum Beispiel aus Abrieben von Bremsbelägen, Reifen und dem Fahrbahnbelag. Die sogenannten „nicht-abgasbezogenen“ PM-Partikel wurden bisher aber wissenschaftlich kaum erfasst. Die Berliner Untersuchung betritt also Neuland, indem sie auch diese Kategorie der PM10-Immissionen in die Analyse einschließt. Dabei kann ein nicht unerhebliches Potenzial für die Luftverbesserung durch Tempo 30 nachgewiesen werden, das bisher noch nicht berücksichtigt wurde. (Berlin / Rauterberg-Wulff 2015)

PM10 Abgase und nicht-abgasbezogene Partikel

Wie die Tabelle zeigt, ist der Mehreffekt durch Tempo 30 bei beiden Partikelarten gleich groß und liegt bei jeweils -0,9 μg/m³, was einen signifikanten Anteil der nicht-abgasbezogenen Feinstaubpartikel am gesamten Feinstaubaufkommen der Kfz bedeutet. Dazu bemerkt die Studienautorin: „Die differenzierte Auswertung zwischen PM10 und EC zeigt, dass sich mit der Senkung der Geschwindigkeit auch die Belastung durch Partikel aus Abrieb und Aufwirbelung reduziert hat. Dies ist für die Erreichung der PM10-Luftqualitätsgrenzwerte von hoher Bedeutung, da diese Partikelquelle inzwischen oft einen höheren Beitrag zur Feinstaubbelastung an Straßen liefert, als Partikel aus Auspuffemissionen. Technische Maßnahmen am Fahrzeug zur Reduzierung von Abrieb und Aufwirbelung stehen bisher nicht zur Verfügung.“ (Berlin / Rauterberg-Wulff 2015)

Akzeptanz

Akzeptanz

 

1999/2000: Der subjektiv empfundene Störungsgrad des Lärms ging von 75 % Befragten, die sich äußerst gestört und belästigt fühlen, auf 45% der Befragten zurück (Berlin / Janßen 2007)

2013: „Insgesamt bewerten die Anwohnenden Tempo 30 positiv:
– 61 % aller Befragten sind der Meinung, dass es „mit Tempo 30 leiser ist“. Nur ein knappes Fünftel der
Antwortenden ist der Meinung, dass es keinen Unterschied zwischen Tempo 30 und Tempo 50 gibt.
– Auch bei der konkreten Frage nach Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in ihrer Straße äußern
sich die Befragten zustimmend zu „(mehr) Tempo 30“.
– Eine positive Bewertung geben vor allem Personen, die bereits an einem Straßenabschnitt mit Tempo 30
wohnen. Anwohnende von Tempo-50-Abschnitten und Autobesitzende bewerten Tempo 30 ablehnender.
– Dennoch glauben auch 56 Prozent der Autobesitzenden dass Tempo 30 zu einem leiseren Verkehr führt.
– 66 Prozent aller Befragten stimmen der These zu, dass Tempo 30 den Verkehr sicherer macht.
– Ahnlich gute Werte erreicht die Aussage, ,Fußgänger kommen besser über die Straße”.
– Der Aussage, dass Tempo 30 die Situation allgemein verbessert, stimmen Anwohnende von Tempo-30-Bereichen häufiger zu als Anwohnende von Tempo-50-Abschnitten. (Berlin / Heinrichs 2015)

 

Wissenschaftliche Begleituntersuchungen

Methodik

Methodik

 

Alle wissenschaftlichen Untersuchungen wurden an Hauptverkehrsstraßen durchgeführt.

 

I     Prüfungs- und Abwägungsverfahren für das gesamte Hauptstraßennetz

 

Das gesamte Berliner Hauptstraßennetz wurde 1999 auf seine Eignung für Tempo 30 nachts überprüft, um Verkehrsbelangen einerseits und die Ansprüchen auf Lärmschutz andererseits abzuwägen. Das Verfahren ging von den Daten der bereits bestehenden Berliner Lärmkarte aus und wurde in mehrere Schritte gegliedert:

1) Zunächst wurden alle Bereiche ausgesucht, in denen die Anwohner.innen besonders hohen Lärmbelastungen ausgesetzt sind. Dabei wurden die Richtwerte von 60 dB(A) nachts in Wohngebieten bzw 65 dB(A) nachts in Mischgebieten zugrunde gelegt.
2) Ergänzend legte man die mindestens notwendige Betroffenendichte (betroffene Anwohner.innen pro 100m Strecke) und weitere Kriterien für die genaue Belastungssituation fest. Damit blieben 161 km Strecken mit einem besonderen Entlastungspotenzial, die dann einzeln geprüft wurden.
3) Um andererseits festzustellen, ob eventuell besondere Gründe gegen Tempo 30 sprechen, wurden zwei Vorrangstraßennetze mit höheren Lärmwerten als Kriterium entwickelt, eines für den ÖV (Nachtbusse und nächtlicher Schienenverkehr) sowie eines für den Wirtschaftsverkehr (ebenfalls mit den Hauptrelationen des nächtlichen Verkehrs). Das Ziel: Auf diesen Strecken soll Tempo 50 möglichst weiterhin beibehalten werden.
4) Die verbliebenen Strecken wurden im Hinblick auf örtliche Gegebenheiten überprüft, zum Beispiel auf die technische Machbarkeit bei Ampelschaltungen bzw mögliche unerwünschte Verlagerungswirkungen – die schließlich nur in einem Fall prognostiziert wurden.
Am Ende des Abwägungsprozesses verblieben 49 km des Hauptstraßennetzes, mit deren Beruhigung 46.000 Anwohnende entlastet werden konnten. Für die Umsetzung der Tempo-30-Maßnahmen auf diesen Strecken wurde dann ein Dreistufenplan erstellt und umgesetzt. (Berlin / Senat 2007)

II     Evaluationen nach der Einführung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen

 

An einer Reihe von Hauptverkehrsstraßen in Berlin wurden Dauermessstellen für Verkehrserhebungen und Luftqualitätsmessungen eingerichtet. Etliche von ihnen stehen auch an Straßenabschnitten mit Tempo 30. Da diese schon relativ früh eingerichtet wurde, steht nun eine Fülle von Messdaten zur Auswertung zur Verfügung, mit Daten aus der Zeit etwa 3 Jahren vor der Einführung und seitdem kontinuierlich. (Berlin / Rauterberg-Wulff 2015)

Geschwindigkeitsveränderungen

 

a) 19 Abschnitte von Hauptverkehrsstraßen:
Analysen von Daten der Dauermessstellen. (Berlin / Argus 2013)

b) 2 Hauptverkehrsstraßen mit temporär Tempo 30 (Sonnenallee mit Tempo 30 tagsüber; Straßenzug Osloer/Bornholmer/Wisbyer Straße mit Tempo 30 nachts):
– GPS-basierte Messfahrten 2015 im normalen Verkehr auf sowohl Tempo 30- als auch Tempo-50-Abschnitte, mit sekundengenauer Erfassung der Daten. Analysiert wurden die Qualität des Verkehrsflusses, mit den drei Kriterien, die dafür ausschlaggebend sind: die Fahrgeschwindigkeiten, die Spannbreite der gefahrenen Geschwindigkeiten und die mittleren Reisegeschwindigkeiten. Ausgewählt wurden jeweils benachbarte Tempo-50 und Tempo-30-Strecken mit jeweils gleichen Rahmenbedingungen, dadurch konnten andere Einflüsse als die Tempolimite ausgeschlossen werden. Begleitmaßnahmen, wie etwa Radarkontrollen, fanden nicht statt. Die Messfahrten fanden im Mai und Juni 2013 statt.
– Geschwindigkeitsmessungen an festen Messstellen („Querschnittsmessungen“) (UBA 2015)

 

Luft

 

Zum Berliner Netz der Messstationen für die Luftqualität gehören unter anderem 16 Container mit automatischen kontinuierlichen Messungen auf. Für die Untersuchungen zu Tempo 30 wurden insbesondere die Daten von drei dauerhaften Messstationen an der Schildhornstraße, der Silbersteinstraße und der Beusselstraße ausgewertet.

Die Immissionswerte von jeweils drei Jahren vor und nach der Einführung von Tempo 30 wurden gemittelt und mit den entsprechenden Mittelungswerten von Hauptstraßen mit Tempo 50 verglichen. An weiteren Messstellen wurde die städtischen Hintergrundbelastung ermittelt und von den gefundenen Daten abgezogen, so dass als Ergebnis die rein straßenbezogenen Werte ermittelt werden konnten.

Durch die Messung der Immissionsdaten, also der Konzentration der Schadstoffe neben den Straßen, werden die Werte ermittelt, wie sie für die betroffenen Menschen außerhalb der Kfz relevant sind. Auch können Schwankungen aus den verschiedenen Fahrzeugtypen, die die Stationen passieren, und den individuelle Fahrweisen ausgeschlossen werden. Diese kennzeichnen üblicherweise die Emissionswerte, also den Ausstoß der Schadstoffe direkt am Fahrzeug. (Berlin / Rauterberg-Wulff 2015)

 

Lärm

 

Modellversuch der Berliner Senatsverwaltung 1999/2000 auf Abschnitten von 6 Hauptverkehrsstraßen mit Tempo 30 nachts: Kombination von Lärmmessungen, rechnerischen Überprüfungen der Lärmbelastung, Verkehrserhebungen und Befragungen der Anwohnenden. (Berlin / Senat 2009)

 

Akzeptanz

 

1999/2000: Erste Befragungen im Zusammenhang mit den ersten Umsetzungen von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen

2013: Befragungen von Anwohnenden von zwei untersuchten Hauptstraßen (Sonnenallee mit Tempo-50-und Tempo-30-Abschnitten tagsüber, Wisbyer/Osloer Straße mit Tempo 50- und Tempo-30-Abschnitten), parallel zu Analysen von 2015 zu Geschwindigkeitsänderungen. Die Meinung der betroffenen Anwohner wurde über Haushaltsbefragungen erfasst und im Zusammenhang mit den Vor-0rt-Bedingungen analysiert. (UBA 2015)

Hier verwendete Literatur

Hier verwendete Literatur

 

 Berlin / Argus 2013
LK Argus; Senat für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin: Evaluierung von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen in Berlin, März 2013

Berlin / Grüne Liga 2011 
Grüne Liga: Leuchttürme der Umgebungslärmrichtlinie, 2011

Berlin / Heinrichs 2015
Heinrichs, E; Horn, B, Kroy, J: Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen – Neue Erkenntnisse aus Forschung und Praxis; in Magazin „Straßenverkehrstechnik“ 2/2015

Berlin / Janßen 2007
Janßen, A; Planungsgruppe Nord: Umgebungslärmrichtlinie – eine Chance für eine leisere Stadt oder nur verlorene Zeit? – Mögliche Maßnahmen der Lärmminderung und ihre Wirkungen; Beitrag auf dem Workshop der Grünen Liga zur Umgebungslärmrichtlinie am 1.7.2017 in Leipzig

Berlin / Lehming 2013
Lehming, Bernd; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin:
Lärmaktionsplanung in Berlin – Umsetzung trotz schwieriger Rahmenbedingungen; Präsentation auf der ALD-Mitgliederversammlung in Berlin am 28.5.2013;

Berlin / Rautterberg-Wulff 2015
Rautterberg-Wulff, A: Beobachtungen zur langjährigen Entwicklung der Luftqualität an Berliner Hauptverkehrsstraßen vor und nach Anordnung von Tempo 30; in Journal „Immissionsschutz“ 2/2015

Berlin / Senat 2007
Konzept Tempo 30 nachts auf Berliner Hauptstraßen, 2007

Berlin / Senat 2009
Senat, Ruhiger Leben i der Großstadt, 2009

UBA 2015
Heinrichs, E., Leben, J.; Hänisch, A-S.; Cancik,P. (UBA, Hrsg): TUNE-ULR, Technisch wissenschaftliche Unterstützung bei der Novellierung der EU-Umgebungslärmrichtlinie; Arbeitspaket 2: Geschwindigkeitsreduzierungen; Dessau-Rosslau 2015;

 

 

 

Die Kampagne “Trendsetter für 30 km/h” wird unterstützt von der Dr. Joachim und Hanna Schmidt-Stiftung.

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