In der Metropolregion Madrid leben etwa 7 Millionen Menschen, davon etwa 3,2 Millionen in der spanischen Hauptstadt selbst. Straßen, oft mit Kreuzungen in dichter Folge, sehr viel Verkehr im Stadtzentrum und der steigende Pendlerverkehr zwischen dem Zentrum und der Region gehören zu den Herausforderungen an die Verkehrsplanung. Hinzu kommen die Folgen von Francos autozentrierter Umgestaltung des Madrider Straßennetzes, vom autoorientierten Umbau alter Prachtboulevards über riesigen Parkgaragen bis hin zu Überführungen an wichtigen Verkehrspunkten der Stadt.
Schon seit längerem werden Anstrengungen unternommen, um den Autoverkehr einzudämmen. Dazu gehört auch Tempo 30 als Instrument, um den Verkehr zu beruhigen und dem Fahrradverkehr bessere Bedingungen zu schaffen. In nennenswertem Umfang haben diese Maßnahmen allerdings noch nicht stattgefunden.
Innovative Erkenntnisse, weit über die lokale Bedeutung hinaus, erbringt dagegen eine Pilotstudie der Madrider Polytechnischen Universität zum Fahrtverhalten, dem Treibstoffverbrauch und dem Luftqualität im Viertel Chamberi. Für den realen Stadtverkehr werden darin bei gleichbleibender Durchschnittsgeschwindigkeit positive Wirkungen von Tempo 30 auf die Luftqualität und den Benzinverbrauch nachgewiesen. Festgestellt wurde auch, dass bei Tempo 50 offensichtlich unwillkürlich heftiger beschleunigt wird als bei Tempo 30, selbst wenn es dadurch keinen Nutzen gibt (z.B. bei der Reisezeit).
Für den Stadtteil Chamberi wird nun angestrebt, ab 2017 in großem Umfang 30 km/h auszuweisen. (Madrid/Libertad Digital 16.6.2016)
Maßnahmen; Ergebnisse: Geschwindigkeiten, Fahrverhalten, Benzinverbrauch, Luftqualität;
Wissenschaftliche Begleituntersuchungen: Methodik, Hier verwendete Literatur
Maßnahmen
Tempo 30 wurde bisher vor allem im Zusammenhang mit neuen Fahrradstreifen eingerichtet: Diese dürfen zwar von Kfz mitbenutzt werden, allerdings nur mit höchstens Tempo 30.
Weitere Maßnahmen:
– Prioritätszonen für Anwohnende in der historischen Innenstadt, mit reduziertem Zugang für Autos von Nicht-Anwohnenden,
– Maßnahmen zur Förderung des Fahrradverkehrs: Fahrradspuren, erste separate Fahrradwege,
– Einrichtung einer Polizeistaffel auf Fahrrädern,
– Parkbeschränkungen,
– Umbau von Plätzen
Ergebnisse
Geschwindigkeiten
Die Messungen im Innenstadtviertel Chamberi ergaben die gleichen real gefahrenen Durchschnittsgeschwindigkeiten bei Tempo 50 und Tempo 30. Erreicht werden jeweils nur ca 16 km/h.
16,1 km/h (Bandbreite +/- 2,1 km/h) auf den Tempo 30-Abschnitten,
16,0 km/h (Bandbreite +/- 2,0 km/h) auf den Tempo 50-Abschnitten
Fahrverhalten
Fahrverhalten
Die Beschleunigungsvorgänge reduzieren sich bei Tempo 30 um 20% gegenüber Tempo 50, und die durchschnittliche Motorendrehzahl sinkt leicht um 5%. Beides findet statt, obwohl die Durchschnittsgeschwindigkeit gleich bleibt; aus dem stärkeren Gasgeben entstehen also real keine Vorteile für die Fahrtzeit.
„Das bedeutet, dass der Fahrer unwillkürlich langsamer beschleunigt, wenn er 30 km/h erreichen will, als wenn er versucht, das 50 km/h-Limit zu erreichen. Tatsächlich ist das Fahrzeug dauernd dabei, sein Tempo zu erhöhen oder zu reduzieren, weil der Abstand zwischen zwei Kreuzungen in dem Viertel weniger als 200 Meter beträgt. Die Gründe für diese Ergebnisse kann in beiden Fällen mit dem spontanen Fahrverhalten erklärt werden.“ (Madrid 2012, S. 197)
Details:
Treibstoffverbrauch
Der durchschnittliche Treibstoffverbrauch ist bei Tempo 30 um 15 Prozent niedriger als bei Tempo 50.
Der höchste Treibstoffverbrauch mit 1,8 – 2,2 g/sec findet sich bei Tempo 50, während bei Tempo 30 der Höchstwert 1 g/sec nicht übersteigt. Dies korreliert mit den niedrigeren Beschleunigungs- und Drehzahlwerten bei Tempo 30.
Details
Treibstoffverbrauch (l /100km):
bei 50km/h: 11,1 l/100 km (Abweichungen: ± 0.8 l/100km),
bei 30 km/h: 9.4 l/100 km (Abweichungen: ± 0.5 l/100km)
Luftqualität
Luftqualität
Die Durchschnittswerte von Stickstoffoxid, Kohlenmonoxid und Feinstaub sinken um 20 – 27%, wenn das Tempolimit auf 30 km/h reduziert ist. Der Ausstoß von Kohlenwasserstoff (HC) nimmt zu, allerdings von einem sehr niedrigen Niveau aus und mit großen Abweichungen zwischen den individuellen Testfahrten.
Details
Die Grafik zeigt die deutlichen Reduzierungen vor allem bei NOx und PM, und auch die Zunahme von HC, diese aber auf sehr niedrigem Niveau.
Statistisch sind die Durchschnittswerte für HC nicht relevant, weil große Schwankungen während der einzelnen Testfahrten festgestellt wurden, zwischen ca 20 und 180% des HC-Durchschnitts. Die Autoren der Pilotstudie bewerten dies aber als wenig bedeutsam, weil in den europäischen Städten vor allem NOx und Feinstaub wichtig für die Luftqualität sind. (Madrid 2012)
Wissenschaftliche Begleituntersuchungen
Methodik
Auf einer 7,4 km langen Strecke im Innenstadtviertel Chamberi mit 30 km/h- und 50 km/h-Abschnitten wurden 33 Testfahrten zurück gelegt. Dabei wurden das Geschwindigkeitsverhalten, der Benzinverbrauch und die Luftemissionen simultan gemessen, getrennt nach Tempolimits ausgewertet und verglichen. Die Fahrten fanden im März 2011 statt.
Vergleichbarkeit der Ergebnisse:
Die ausgewählten Streckenabschnitte für Tempo 50 und Tempo 30 wiesen jeweils die gleichen Charakteristiken auf: Das ergab sich zum Einen durch die streng quadratische Anlage des Viertels mit jeweils gleich langen Straßenabschnitten und der gleichen Zahl von Kreuzungen. Zum Anderen wurden die zu vergleichenden Streckenabschnitte während jeweils einer Testfahrt durchfahren, also unter den jeweils gleichen verkehrlichen Bedingungen. Schließlich wurden alle Fahrten in demselben Fahrzeug mit demselben Fahrer zurück gelegt.
Messungen
Für die Messungen wurde ein tragbares System (MIVECO PEMS 2.0) verwendet, das an Bord des Testfahrzeugs mitgeführt wurde. Es dokumentierte neben den Emissionen auch den Treibstoffverbrauch, die Geschwindigkeiten und weitere Faktoren, simultan, also während der Fahrten im realen Straßenverkehr. Als Testfahrzeug wurde ein gebrauchtes Dieselfahrzeug verwendet, wie es in ganz Europa geläufig ist. Alle Fahrten fanden mit einem bereits warmen Motor statt.
Hier verwendete Literatur
Hier verwendete Literatur
Casanova,J; Fonseca, N: Environmental assessment of low speed policies for motor vehicle mobility in city centres; Global Nest Journal 2011;
Kolb, J / bikecitizens: Madrid bereitet sich auf das Fahrrad-Zeitalter vor; 2015 (laut Twitterankündigung)
Madrid / Libertad Digital 2016
Libertad Digital: Carmena quiere limitar a 30 km/h la velocidad en el centro de Madrid; 16.6.2016
Die Kampagne “Trendsetter für 30 km/h” wird unterstützt von der Dr. Joachim und Hanna Schmidt-Stiftung.