Der Ort Köniz liegt bei Bern, er ist das Zentrum der Agglomerationsgemeinde Köniz mit ca 40.000 Einwohner.innen.
Erste Tempo-30-Zonen in Wohnquartieren wurden 1996 eingerichtet, und heute gilt Tempo 30 in allen Wohnquartieren der Gemeinde.
Der Ort Köniz selbst war noch 2000 stark vom Durchgangsverkehr belastet, der vor allem über die Hauptdurchfahrtstraße „Schwarzenburgstraße“ rollte. Hier und an allen Kreuzungen standen eine Reihe von Lichtsignalanlagen und verliehen dem Ort den Spitznamen „Ampliwil“. Eine größere Umgestaltung des Ortszentrums ab 2001 wurde dann genutzt, um auch das Verkehrssystem des Zentrums neu zu organisieren. Dabei ging es darum, das Miteinander des wegen des attraktiven neuen Zentrums stark gestiegenen Fußverkehrs mit dem Kfz-Verkehr zu verbessern, der in Spitzenstunden fast zum Erliegen gekommen war. Im Jahr 2005 wurde deshalb Tempo 30 auf der Schwarzenburgstraße erprobt und wegen guter Ergebnisse dann permanent ausgewiesen. Köniz ist damit eines der ersten Ortszentren in der Schweiz, die Tempo 30 auf einer Hauptverkehrsstraße eingeführt haben.
Das überraschendste Einzelergebnis: Mit dem niedrigeren Tempolimit ist die Durchfahrtzeit auf der Schwarzenburgstraße von durchschnittlich 2,5 Minuten auf unter 2 Minuten gesunken!
Was die Maßnahmen in Köniz besonders macht, ist die umfassende Einbindung der Bevölkerung. Kontroversen kurz vor dem Versuchsbeginn konnten dank guter Diskussionsmöglichkeiten und der Beteiligung während des Versuchs ausgeräumt werden konnten. Die Umgestaltung kommentierte Ueli Weber, damaliger Verkehrsplaner bei der beteiligten Firma Metron Bern, einige Jahre später so: „In Köniz wollen Bevölkerung, Gewerbetreibende, Fahrzeuglenker und öffentliche Verkehrsbetriebe kein Zurück mehr. Die stockenden Kolonnen konnten deutlich reduziert werden, die Reisezeiten haben sich verbessert. Die vorliegende Lösung hat sich als ausgewogener Kompromiss herausgestellt. Eine einzige Einschränkung gibt es: Den Sehbehinderten fehlt der taktil wahrnehmbare Fahrbahnrand.“ (VCS 2014).
Besonders ist auch, dass zeitgleich mit Tempo 30 ein Queren für die Zu-Fuß-Gehenden auf der ganzen Fläche, also ohne Zebrastreifen, ermöglicht wurde. Das Ergebnis: „Koexistenz ist in Köniz Alltag, die Ortsdurchfahrt mit seiner Verkehrskultur gilt heute als Vorzeigebeispiel für «Shared Space» (gemeinsam genutzter Raum) und für ein erfolgreiches Verdichten im Innern, im Zentrum,“ (Gemeindeverwaltung Köniz). Der gesamte Ort ist viel weniger vom Straßenverkehr dominiert als vorher. Auch für Sehbehinderte wurden Lösungen gefunden.
Maßnahmen: Maßnahmen, weitere Maßnahmen, Beteiligung der Bevölkerung;
Ergebnisse: Geschwindigkeitsänderungen; Verkehrsfluss; Verkehrsverhalten; Sicherheit; Akzeptanz;
Wissenschaftliche Begleituntersuchungen: Methodik; Hier verwendete Literatur
Maßnahmen
In Wohnquartieren:
Markierungen: Markierungen in den Eingangsbereichen; versetzt markierte Parkfelder auf den Fahrbahnen; Markierungen für Rechts-vor-Links-Vorfahrt;
Baumaßnahmen: Eingangstore, aufgepflasterte Fussgängerübergänge, Verengungen
Auf der Hauptdurchfahrtstraße „Schwarzenburgstraße“
Mai-Juni 2005 (zweimonatiger Verkehrsversuch):
– Aufhebung aller Fußgängerstreifen („Zebrastreifen“) imKernbereich, stattdessen freies Queren auf der ganzen Fläche;
– Ausweisung mit Tempo 30; eine große Zahl „30“ auf der Fahrbahn markiert jeweils den Beginn der Zone
Ab Juli 2005: endgültiges Einführen von Tempo 30; dafür zusätzlich
– Signalisation für eine Tempo-30-Zone,
– Verbreiterung des abmarkierten Mittelstreifens auf 2 Meter, als Querungs- und teilweise auch als Abbiegehilfe;
– im Straßenraum platzierte Objekt, die auf Tempo 30 aufmerksam machten;
– Schaffung markanter Eingänge mit großen 30-Zahlen;
– Weiße Führungslinien als Querungshilfe für Sehbehinderte;
Durch diese Umgestaltung des Straßenraums teilen sich „Fahrzeuglenkende und Zu-Fuß-Gehende wie selbstverständlich den Straßenraum.“.
weitere Maßnahmen
– Ersatz einiger Ampelanlagen durch kleine Kreisel oder ampelfreie Kreuzungen; mit sparsam gelenkter Verkehrsführung, um den Platzcharakter zu erhalten;
– insgesamt möglichst sparsame Signalisierung/Markierung, abgesehen von der Tempo-30-Strecke;
– Neubau einer Umgehungsstraße, die in Spitzenzeiten genutzt werden kann;
– Verkehrsdosierung durch Lichtsignalanlagen am Rande des Zentrums,
– Vorrangschaltung für den ÖV an einzelnen Lichtsignalanlagen, zur bevorzugten Einfahrt in das Zentrum;
– Einrichtung von Busspuren
– auf der Höhe der Läden markierte Längsparkplätze beidseits entlang der Straße
Beteiligung der Bevölkerung bei der Einführung von Tempo 30 auf der Schwarzenburgstraße
Für die Einführung wurde großer Wert auf ein partizipatives Vorgehen gelegt. Die Bevölkerung wurde insgesamt zweimal umfangreich befragt und hatte während der gesamten Anfangsphase Gelegenheit Anregungen einzubringen. Als Ergebnis daraus wurde z.B. ein breiter Mittelstreifen für mehr Sicherheit beim Überqueren der Straße markiert.
2000 – 2006: Für das Verkehrskonzept im Ortszentrum wurde eine Begleitgruppe mit Vertretern der betroffenen Quartiere, des Gewerbes, des ÖV‘s und verschiedener Interessengruppen in die Planungen einbezogen.
2005: Informationskampagne: Die Ankündigung des Versuchs mit Tempo 30 hatte zunächst viel Unverständnis ausgelöst. Dank der breit angelegten Information gelang es, die Wogen etwas zu glätten. Auch wurde ein Abbruchszenario mit klaren Kriterien definiert. (Köniz 2009)
2005 Mai/Juni: Versuchsphase mit umfassender Partizipation für Bewohner.innen, inklusive schriftlicher und mündlicher Befragungen, Gespräche mit Fokusgruppen, sowie wissenschaftlicher Begleitung (z.B. Nutzungskartierungen, Dokumentationen des Passantenverhaltens etc) (Köniz 2010)
2006 erneute Befragung zur Evaluation
Erfahrungen mit den Maßnahmen für Tempo 30 in Wohnquartieren:
Nach Schweizer Recht müssen zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, wenn ein Jahr nach der Einführung die Einhaltung des Tempolimits nur schlecht funktioniert, und für die Zonen, in denen anfangs nur Minimalmaßnahmen ergriffen worden waren, ging es dann um bauliche Veränderungen. Diese wurden teilweise von Anwohnenden mit Einsprachen bekämpft, was das jeweilige Verfahren in die Länge zog. (Köniz 2004)
Ergebnisse
Ergebnisse
Geschwindigkeitsänderungen
Geschwindigkeitsänderungen
Hauptdurchfahrtstraße „Schwarzenburgstraße“
Schon bei Tempo 50 wurde wegen der hohen Fußgängerdichte relativ langsam gefahren. Nach der Einführung von Tempo 30 sanken die Geschwindigkeiten um durchschnittlich weitere 2,5 km/h. Tempo 30 wird von 85 Prozent der Fahrzeuglenkenden eingehalten
Verkehrsfluss
Verkehrsfluss
Hauptdurchfahrtstraße „Schwarzenburgstraße“
Obwohl das Tempolimit auf der Hauptverkehrsstraße auf 30 km/h gesenkt wurde, ist die mittlere Durchfahrtszeit von 2,5 Minuten auf unter 2 Minuten gesunken. „Die Koexistenz in der Tempo-30-Zone bewirkt auch eindeutig eine Verstetigung des Verkehrs mit weniger Stopps und Beschleunigungen.“ (S.15, auch mit Grafik). Vollständig angehalten wird nur noch selten. Köniz 2010
Auch eine Mehrheit von befragten Könizerinnen und Könizern stimmt der Aussage zu, dass Tempo 30 zur Verflüssigung des Verkehrs beiträgt. (Köniz 2006)
Verkehrsverhalten
Verkehrsverhalten
Kfz auf der Schwarzenburgstraße
„Die Fahrweise der Fahrzeuglenkenden hat sich merklich verändert. Vollständiges Anhalten ist seltener geworden. Ein Jahr nach der Einführung von Tempo 30 wird aber auch rücksichtsvoller gefahren: Zügiges Durchfahren findet seltener statt, man bremst vermehrt ab.“ (Köniz 2010)
Fußgänger.innen auf der Schwarzenburgstraße
Der Verzicht auf Fußgängerstreifen wurde anfangs stark kritisiert, wobei befürchtet wurde, dass die Schwarzenburgstraße zu einem unüberwindbaren Hindernis für Kinder und Ältere werde. Diese Befürchtung hat sich allerdings nicht bestätigt. (Köniz 2010)
Das Verhalten der Zu-Fuß-Gehenden hat sich verändert: „Die Wartezeiten der Fussgängerinnen und Fussgänger haben erwartungsgemäss zugenommen. Für 80% bis 90% der Personen liegt die Wartezeit aber unter 10 Sekunden.“ „Der Anteil der Personen, die die Fahrbahn betreten, ohne vorher anzuhalten, ist markant zurückgegangen. Die Fussgängerinnen und Fussgänger haben aber an Selbstsicherheit gewonnen oder werden besser respektiert. Inzwischen queren rund 40% der beobachteten Personen die Schwarzenburgstrasse in schräger Richtung, um ihre Wege abzukürzen.“ Das gilt auch für die Schwächeren. (Köniz 2010)
„Während Handzeichen bei den Fahrzeuglenkenden leicht zugenommen haben, zeigen die Fussgänger-innen und Fussgänger eine viel aktivere Kommunikation. Sie nehmen häufiger Blickkontakt auf, zeigen eine deutlichere Körpersprache und winken auch mal Fahrzeuge durch.“ (Köniz 2010)
Sicherheit
Sicherheit
Wohnstraßen:
„Alle drei verkehrsberuhigten Quartiere blieben in den Vergleichsjahren seit Einführung der Zone-30 unfallfrei.“ (…) Ein Vergleich der Unfalltypen (..) zeigt einen Rückgang der Fußgängerunfälle auf Null, einen starken Rückgang der Querungsunfälle und einen leichten Anstieg der Auffahrunfälle.
Verkehrstote gab es im Analysezeitraum 1991-99 in diesen Perimetern keine.“ (Köniz 1999)
Hauptdurchfahrtstraße „Schwarzenburgstraße“
Die Zahl der Verkehrsunfälle insgesamt ging nach der Umgestaltung deutlich, nämlich um ein Drittel, von 33 auf 22, zurück.
Die Zahl der Unfälle mit Fußgängerbeteiligung blieb mit zwei Unfällen gleich, obwohl die Zahl der querenden Personen sich verfünffachte.
Auffahrunfälle sind von 10 auf 2 ( minus 80 Prozent) zurückgegangen, und die Unfälle mit linksabbiegenden Fahrzeugen von 5 auf 0.
„Die Fahrzeuglenker sind aufmerksamer und nehmen auch untereinander mehr Rücksicht. Die Verkehrssicherheit in Köniz hat sich also namentlich für die Autofahrer verbessert, die Fussgängersicherheit war bereits vorher gut. Radfahrer waren weder vor noch nach der Umgestaltung von Unfällen betroffen.“ (Köniz 2010)
Subjektive Sicherheit
Erheblich verbessert hat sich das Vertrauen in eine sichere Verkehrssituation für alle. Das gilt sowohl für die beruhigten Wohnquartiere als auch für die Schwarzenburgstraße
Details
Wohnquartiere
Antworten aus der Umfrage 2006 zu Tempo 30 auf der Hauptdurchfahrtstrasse „Schwarzenburgstraße“
„Mehr als vier Fünftel der Befragten stimmen der Aussage voll und ganz beziehungsweise ziemlich zu, dass Tempo 30 die Sicherheit der Fußgänger verbessert.
Rund drei Viertel sind der Meinung, dass Tempo 30 auf der Hauptachse die Sicherheit der Velofahrer im Zentrum verbessert.
Zwei Drittel sagen überdies aus, dass der Bereich mit Tempo 30 gut erkennbar sei. Dies ist besonders für das Sicherheitsgefühl von älteren Verkehrsteilnehmer.innen wichtig. Detailanalysen nach Altersgruppen ergaben, dass diese Aussage sogar von 85 Prozent der über 65-Jährigen bejaht wird. (Köniz 2006)
Akzeptanz
Akzeptanz
Nebenstraßen in Wohnquartieren:
Nach seiner Einführung ist Tempo 30 im Wohnquartier das Wunschtempo von 80% der Befragten.
87% beurteilen die Wohnqualität in ihrem Quartier als verbessert.
Befragt nach dem zukünftigen Handlungsbedarf auf Quartierebene meinen 67% der Befragten, die Gemeinde sollte „mehr“ oder „ eher mehr“ tun für die Verkehrsberuhigung in Quartieren. Bei der gleichen Frage nach dem Handlungsbedarf auch auf Hauptstraßen möchten 61% „mehr“ oder „ eher mehr“ für die Verkehrsberuhigung tun. (Köniz 1999)
Wunschtempo:
20 km/h: 2%
30 km/h: 80%
40 km/h 10%
50 km/h: 8%
Hauptdurchfahrtstraße „Schwarzenburgstraße“
„In Köniz wollen Bevölkerung, Gewerbetreibende, Fahrzeuglenker und öffentliche Verkehrsbetriebe kein Zurück mehr.“ (VCS 2014) Die Tempo-30-Zone auf der Hauptachse wird von über drei Vierteln der Befragten für gut befunden.
Details
Wissenschaftliche Begleituntersuchungen
Methodik
Methodik
Tempo 30 in den Wohnquartieren
1999 fand eine erste Umfrage (im Quartier Buchsee-Mösli) zur Akzeptanz der Zonen und verkehrsberuhigenden Maßnahmen statt. Außerdem wurde die Unfallentwicklung dokumentiert.
Geschwindigkeitsveränderungen im Wohnquartier: Vorher-Nachher-Vergleiche am Beispiel des Quartiers Buchsee-Mösli; die Daten wurden über Fragebogen von der Gemeinde abgefragt (Lindenmann 2000)
Tempo 30 in der Schwarzenburgstraße
Geschwindigkeiten, Reisezeiten, Stetigkeit: Kontrollen, Messfahrzeug
Unfälle: Statistiken und Beobachtungen der Kantonspolizei
Verkehrsverhalten: Beobachtungen im rahmen eines nationalen Forschungsprojektes der Schweiz „Fußgängerstreifenlose Ortszentren“
Akzeptanz: Vorher-Befragung 2005;
Nachher-Befragungen 2006: Befragung der Bevölkerung, teilweise mit denselben Fragen wie vorher; zusätzliche Befragung einer „Fokusgruppe Verkehr“ (8 Personen aus Köniz) in einer Veranstaltung sowie in persönlichen Interviews; (alle Angaben aus Köniz 2010)
Hier verwendete Literatur
Hier verwendete Literatur
Köniz / IKAÖ 1999
Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie der Universität Bern / Daniel Matti, Ueli Haefeli: Tempo-30-Zonen und Verkehrsberuhigungsmaßnahmen in der Gemeinde Köniz
Köniz 2004
Gemeinde Köniz: Motion Haudenschild betr. Einführung von Tempo 30 in allen Wohngebieten; Parlamentssitzung 18.10.2004
Köniz 2006
Matti, D; Haefeli, U; Fässler, S / Interface: Wirkungsanalyse Umgestaltung Zentrum Köniz; Nach-Untersuchung Akzeptanz Verkehrssituation 2006; Luzern 2006
Köniz 2009
Tiefbauamt des Kanton Bern: Flyer „Schwarzenburgstrasse Köniz“ – Die Straße im Dienst des Zentrums
Köniz 2010
Gemeinde Köniz / Tiefbauzentrum des Kantons Bern: Zufrieden mit dem neuen Zentrum? Erfolgskontrollen
Zentrumsumgestaltung Köniz und Umgestaltung Köniz-/Schwarzenburgstrasse, Bern, 2. Auflage mit
Auswertung der Unfallzahlen, 2010
Lindenmann 2000
ETH Zürich / Lindenmann, H.P; Koy,Th: Beurteilung der Auswirkungen von Zonensignalisationen (Tempo 30) in Wohngebieten auf die Verkehrssicherheit, Zürich 2000
VCS 2014
Verkehrsclub der Schweiz: Tempo 30 im Ortszentrum; Argumente, Anleitung, praxisbeispiele aus Stadt und Land; 2. Auflage 2014
Die Kampagne “Trendsetter für 30 km/h” wird unterstützt von der Dr. Joachim und Hanna Schmidt-Stiftung
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