Berliner Luft weht anders… Diskussion einer ADAC-Studie zu Tempo 30

am 29. März 2017

Seitdem die neue Berliner Stadtregierung angekündigt hat, deutlich mehr Tempo 30 einzuführen, wird wieder heftig diskutiert. Kritiker beziehen sich gerne auf die ADAC-Untersuchung zur Luftqualität vom September 2016, die teilweise auf Berliner Straßen durchgeführt wurde. Der ADAC hatte in seiner  Presseankündigung vom 26.9.2016 pessimistisch geurteilt: „Die Verringerung der Geschwindigkeit reduziert den Schadstoffausstoß von Autos nicht“. Nur: in Berlin ist das offenbar anders. Wir haben den ganzen Text gelesen und nachgefragt. Und eine der Teststrecken, die Wisbyer Straße, besucht.

Die eigentliche Fachinformation, auf die die zitierte Pressemeldung sich bezieht, sowie der Ortstermin an einer der Berliner Untersuchungsstrecken „Wisbyer Straße“ belegen: Die Verringerung der Geschwindigkeit verringert auch den Schadstoffausstoß von Autos sehr wohl! Die Testfahrten, mit denen im August 2015 die Daten erhoben wurden, wurden bei Tempo 30 allerdings deutlich stärker von roten Ampeln unterbrochen als bei Tempo 50.

 

Ortstermin:

Den Ausschlag für die Ortsbesichtigung an der Wisbyer Straße gab eine Grafik in der ADAC-Fachinformation mit den genauen Fahrtverläufe der Testfahrten. Sie illustriert, dass die Anhaltevorgänge und Wiederanfahrten ab 22 Uhr deutlich zunehmen – und damit zwangsläufig auch die Abgase. An Motoren, die ihren Geist aufgaben, kann das kaum gelegen haben. Also an baulichen Hindernissen? Oder an Kreuzungen?

Berlin, Wisbyer Straße/Ecke Schönhauser Allee: Die rote Ampel an der Kreuzung ist ein bekannter Nervtöter. Und sie ist eine von 5 Lichtsignalanlagen, die in solchen Entfernungen zueinander folgen, dass sie genau mit den Fahrtzeiten, Abbrems- und Wiederanfahrtmanövern aus der ADAC-Grafik korrespondieren.
Offensichtlich waren sie in der Testphase (25.–27.August.2015) so geschaltet, dass man ab 22 Uhr mit der Fahrtgeschwindigkeit 30 km/h immer bei Rot vor der jeweils nächsten Ampel landete. Bei den früheren Fahrten mit Tempo 50 kam der Fahrer dagegen auch mal bei Grün über Kreuzungen und konnte Abgase sparen.

 

Anruf bei der Berliner Verkehrslenkstelle des Berliner Senats

 

Bestätigung kommt von der Verkehrslenkung Berlin. Bei einem Telefonat erklärt der Mitarbeiter, dass auf der Wisbyer Straße in der Tat mehrere Signalpläne gelten. Üblicherweise werde um 22 Uhr umgestellt, von Signalplan 1 auf 2. Er prüft nach: Auch während der Tage mit den Messfahrten im August 2015 war das so.

Eine Rolle spiele auch die Vorrangschaltung für die Straßenbahn, wobei vom Fahrzeug aus das Grün für die Weiterfahrt eingeleitet werden kann, zum Beispiel wenn an Haltestellen alle Passagiere eingestiegen sind. Feuerwehr- und Polizeifahrzeuge besitzen ebenfalls eine Steuerungstechnik, damit bei Einsätzen auf Grün umgestellt werden kann. Deshalb könne es passieren, dass Autofahrer vor mehreren roten Ampeln hintereinander warten müssen, so die Information der Verkehrslenkung.

Es sind also rote Ampeln, die zusätzliche Beschleunigungs- und Abbremsmanöver – und damit mehr Abgase als nötig – auf der Wisbyer Straße verursachten. Mit dem Tempolimit selbst hat das nichts zu tun.

Mehr Glück hatte der Testfahrer auf der Osloer Straße, der zweiten Versuchsstrecke Die grafische Darstellung der dortigen Fahrtverläufe weist anstelle von 3 notwendigen Halten in der Zeit vor 22 Uhr nur noch einen Halt für die spätere Testfahrt nach 22 Uhr aus. Der Verkehr fließt besser. Die Luftwerte sind verbessert.

 

Die ADAC-Daten illustrieren, wie wichtig die Effekte von Lichtsignalanlagen für den Verkehrsfluss und die Luftqualität sein können. Eine generelle Aussage dazu war 2013 vom Londoner Imperial College getroffen worden, wo man erhebliche Emissionssteigerungen durch Fahrbahnschwellen gemessen hatte und dabei auf das generelle Problem hinwies: „Noch höhere zusätzliche Emissionen verursachen Maßnahmen wie Fußgängerüberwege und Ampelkreuzungen.“ (London Imp 2013). Der ADAC hat nun ein anschauliches Beispiel dafür geliefert.

 

Einzelne Umweltdaten aus den ADAC-Fachinformationen

 

Trotz der Beeinträchtigungen durch Lichtsignalanlagen an der Wisbyer Straße zeigen die vom ADAC gemessenen Werte bei Tempo 30 dennoch eine verbesserte Luftqualität. Die Luft verbessert sich allerdings nicht so stark wie an der Vergleichsstrecke der Osloer Straße, wo rote Ampeln mit Stop-and-Go eine geringere Rolle spielten. Aber sie sind vorhanden.
Kraftstoffverbrauch

Hinweise:

  1. Der real niedrigste Kraftstoffverbrauch wurde bei Tempo 30 erreicht (4,03 l/100km in Fahrtrichtung West Wisbyer Straße)
  2. Der real höchste Kraftstoffverbrauch trat bei Tempo 50 auf (5,54 l/100km in Fahrtrichtung Ost, Wisbyer Straße)
  3. Alle Testfahrten nach 22 Uhr zeigten einen niedrigeren Kraftstoffverbrauch. Die Reduzierungen betrugen jeweils bis zu 15 Prozent. (Osloer Straße 10-15%, Wisbyer Straße 5-15%.

 

 

 

Hinweis:

Der real geringste NOx-Ausstoß wurde mit 8 mg/km auf der Osloer Straße ( 22-24 Uhr) und mit 10 mg/km auf der Wisbyer Straße (Tempo 30, 22 – 24 Uhr) festgestellt.

 

Fazit

Es kann geschlussfolgert werden, dass der pessimistische Befund aus der ADAC-Studie für Berlin nicht gilt. Ohnehin gibt es schon eine Langzeituntersuchung mit Millionen von Daten, die während 6 Jahren an Dauermessstellen der Schildhornstraße, Silbersteinstraße und Beusselstraße gesammelt wurden. Diese Studie des Berliner Senats aus dem Jahr 2013 hat weltweit Maßstäbe gesetzt – und sie zeigt ausgesprochen erfreuliche Ergebnisse: mit bis zu – 28% NO2; – 21% Feinstaub und bis – 28% Ruß.

 

Literatur:

ADAC 2016: ADAC e.v. Ressort Verkehr: Vergleich der Pkw-Emissionen bei Tempo 50 und 30 –
Ergebnisse der Abgasmessungen auf dem Rollenprüfstand, Fachinformationen, August 2016;

Berlin 2013: Rautterberg-Wulff, A: Beobachtungen zur langjährigen Entwicklung der Luftqualität an Berliner Hauptverkehrsstraßen vor und nach Anordnung von Tempo 30; in Journal „Immissionsschutz“ 2/2015

London Imp 2013:   Imperial College London, Centre for Transport Studies, Transport and Environmental Analysis Group: An Evaluation of the Air Quality Impacts of a 20mph Speed Restriction in Central London, London, April 2013

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