„Die Grenzen, die uns die Straßenverkehrs-Ordnung setzt, sind mir schmerzlich bewusst.“

am 08. August 2013

Eisleben hat jetzt Tempo 30 in der Innenstadt, Winterberg bekommt es in der Kernstadt,  Türkheim wohl auch, und Immendingen-Hintschingen, Kandel, Würzburg, Hofgeismar – im Autoland Deutschland geht es voran mit umfangreichen Tempo 30-Ausweisungen. Trotzdem sind auch Enttäuschung und Wut noch immer an der Tagesordnung, wenn Betroffenen für ihren Ort mehr Tempo 30 fordern und auf Ablehnung aus  Verkehrsbehörden oder auf zögernde Kommunalräte stoßen. Nicht immer stimmen dann die Schuldzuweisungen.
Gisela Splett, engagierte Staatssekretärin im baden-württembergischen Verkehrsministerium und Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung, hat uns erklärt, warum das alles so mühsam ist. Ein Gespräch über rechtliche Hürden bei  Durchgangsstraßen, über Grenzwerte, Handlungsspiel- räume, und wer eigentlich wann was prüfen muss. Und natürlich, warum sie unser Volksbegehren unterstützt.


Wir organisieren ein EU-weites Volksbegehren, damit Tempo 30 innerorts eine höhere Priorität bekommt, und Sie haben uns schon geschrieben, dass Sie diese initiative unterstützen. Was sind Ihre Gründe dafür?

Ich bin überzeugt davon, dass Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts zu mehr Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden führen würde. Tempo 30 statt Tempo 50 verbessert die Verkehrssicherheit und mindert die Lärmbelastung. Innerörtliche Tempobeschränkungen können auch städtebaulich neue Möglichkeiten eröffnen.

Würden Sie es begrüßen, wenn die Städte und Gemeinden selber über die Geschwindigkeitsbeschränkungen auf ihrem Straßennetz entscheiden?

In jedem Fall wünsche ich mir, dass die Hürden für Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Durchgangsstraßen gesenkt werden. Bisher sind Tempo-30-Anordnungen auf Kreis-, Landes- und Bundesstraßen in Ortsdurch­fahrten nur dann möglich, wenn eine besondere Gefahrenlage besteht, also sehr hohe Lärmwerte erreicht sind oder es besondere Verkehrssicherheits­probleme gibt. Ich würde begrüßen, wenn den Wünschen in Städten und Gemeinden hier besser Rechnung getragen würde.

 

Tempo 30, wenn Grenzwerte nicht erreicht werden?

Sie haben uns geschrieben, die Hürden der Straßenverkehrsordnung seien so hoch, dass einer Landesbehörde in vielen Fällen eine Tempo-30-Anordung beim besten Willen nicht möglich sei. Könnten Sie uns das näher erläutern?

Bisher regelt die Straßenverkehrs-Ordnung in § 45 Abs. 9, dass Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden dürfen, „wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.“ Ausnahmen gelten zwar für Tempo-30-Zonen und für durch Mautausweichverkehr ausgelöste Probleme. Da Tempo-30-Zonen weder Straßen des überörtlichen Verkehrs noch weitere Vorfahrtstraßen umfassen dürfen (das ist in § 45 Abs. 1c StVO geregelt), kann jedoch auf Kreis-, Landes- und Bundesstraßen Tempo 30 nur angeordnet werden, wenn eine besondere Gefahrenlage festgestellt wird.

In der Rechtsprechung gibt es Ausführungen dazu, was das konkret bedeutet. Bzgl. Lärmbelastung werden häufig die Lärmschutz-Richtlinien-Straßenverkehr 2007 als Orientierungshilfe herangezogen. Demnach kommen Maßnahmen insbesondere dann in Betracht, wenn die Lärmwerte tagsüber 70 dB(A) oder nachts 60 dB(A) überschreiten.
In der Realität besteht der Wunsch nach Tempo 30 aber oft auch dann, wenn diese Werte nicht erreicht werden. Ich bedauere, wenn ich Kommunen dann schreiben muss, dass Ihrem Wunsch auf Tempo 30 in der Ortsdurchfahrt nicht entsprochen werden kann. Aber es hilft uns auch nicht, wenn wir Anordnungen veranlassen, die dann vor Gericht keinen Bestand haben.

Vorhandene Spielräume ausnutzen

Welchen Handlungsspielraum haben Sie dann eigentlich?

In einem ersten Schritt habe ich darauf hingewirkt, dass wir in Baden-Württemberg nicht mehr unterscheiden zwischen reinen Wohngebieten und Kern-, Dorf- und Mischgebieten, so wie es in den Lärmschutz-Richtlinien-Straßenverkehr des Bundes vorgesehen ist. Nach diesen Richtlinien dürfte es an den Straßen in den alten Ortslagen um 2 dB(A) lauter sein als in reinen Wohngebieten. Wir sagen, überall dort wo Menschen an der Straße wohnen, sollen einheitlich die niedrigeren Orientierungs­werte von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) für die Beurteilung der Lärmsituation heran­gezogen werden.

Und im Weiteren achte ich darauf, dass die vorhandenen rechtliche Spielräume von den zuständigen Verkehrsbehörden im Sinne eines verbesserten Lärmschutzes der AnwohnerInnen genutzt werden. Die Grenzen, die uns die Straßenverkehrs-Ordnung setzt, sind mir dabei schmerzlich bewusst.

Aufgeteilte Kompetenzen für die Prüfverfahren

Wie sieht das konkrete Verfahren aus, wenn eine Gemeinde eine Tempo-30-Zone beantragt hat und das Landesministerium diese Pläne prüft?

Ich möchte nochmals auf den Unterschied von Tempo-30-Zonen und Tempo-30-Anordnungen auf Kreis-, Landes- und Bundesstraßen hinweisen. Die Ausweisung von Tempo-30-Zonen innerhalb von Wohngebieten ist in der Regel kein Problem, wenn die Kommune dies wünscht. Das regeln die Verkehrsbehörden mit den Kommunen, ohne dass sich das Ministerium darum kümmern muss.

Die geschilderten hohen Hürden, die die Straßenverkehrsordnung setzt, gelten für Durchgangsstraßen, an denen ja auch viele Menschen wohnen und arbeiten. Hier sind ebenfalls die unteren Verkehrsbehörden zuständig. Sie müssen – ggf. in Abstimmung mit den höheren Verkehrsbehörden – prüfen, ob die gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen vorliegen. Wir als Landesministerium haben den Behörden Hinweise an die Hand gegeben, was z.B. bei Tempo-30-Anordnungen aus Lärmschutzgründen zu beachten ist (siehe http://www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/115583/#F5). Ich erhalte immer wieder Schreiben von Kommunen, die gerne Tempo 30 in ihrer Ortsdurchfahrt hätten. Manchmal finden wir eine rechtlich tragfähige Begründung, oft aber auch nicht, eben weil die genannten Lärmwerte nicht überschritten sind und die Verkehrssicherheit keine besonderen Probleme aufweist.

Was interessiert Sie persönlich an der Thematik?

Ich bin viel mit dem Fahrrad unterwegs, ich habe Kinder, die zu Fuß und mit dem Fahrrad mobil sind, und ich bin Lärmschutzbeauftrage der baden-württembergischen Landesregierung. Ich denke, das sind Gründe genug, für mehr Tempo 30 einzutreten.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Unsere Europäische Bürgerinitiative “30 km/h – macht die Straßen lebenswert!” will die Gesetzgebung der EU verbessern.  Und wenn wir eine EU-Richtlinie erreicht haben, ist Deutschland verpflichtet, seine Straßenverkehrsordnung anzupassen. Die Hürden, die Frau Splett erwähnt hat, könnten dann endlich abgebaut werden. Deshalb: jetzt gleich unterschreiben!

 

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1 Kommentar

  1. Tempo 30 auf Haupt- und Durchgangsstraßen bringen gar nichts. Erzeugen nur mehr Stau, Lärm und Dreck und werden von Kommunalpolitikern sehr häufig als politisches Druckmittel zum Bau von Ortsumfahrungen genutzt. Außerdem füllen sie mit kombinierten Blitzeranlagen nur die Kassen der Landkreise und Kommunen (siehe Bodenseekreis).30er Zonen in reinen Wohngebieten, Schulbereichen, Altersheimen, Kurbezirken oder Unfallschwerpunkten sind ok. Überwachung bringt nur mit Blitzern den erwünschten Erfolg. Routinierte Autofahrer kennen diese aber, bremsen ab und geben hinterher wieder Gas. Außerdem gibt es Navi, Handys und sogar Radiodurchsagen die mit entsprechender App vor diesen Blitzern warnen. Besser ist es seitens der Verkehrsbehörden mit baulichen Maßnahmen zu agieren (Fahrbahnteiler, Kreisverkehr, Inseln, Radspuren, Abbiegespuren). Positives Beispiel ist die Ortsdurchfahrt Herdwangen, Lkrs. Sigmaringen. Dort vor den OD Tempo 70, dann ab Ortstafel Tempo 50,Verkehrsinseln und Abbiegespuren, Radweg, Gehweg. Die angrenzenden Wohngebiete sind übrigens weitgehend mit Tempo30-Zonen ausgeschildert. Andere Kommunen sollten diesem Beispiel folgen statt in der Ferienzeit außerhalb des Schulbetriebs in 30er Schulbereichen (Friedrichshafen) noch Autofahrer abzukassieren.

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